DOC on AIR - Erste Hilfe im Alltag

Notfallmedizin im Alltag

#45 - ADHS

In dieser Episode von „Doc on Air“ wird ADHS behandelt: Ursachen, Diagnosekriterien, Missverständnisse und die gesellschaftliche Wahrnehmung in der digitalen Welt werden beleuchtet, samt unbedingtem interdisziplinärem Behandlungsansatz.

25.01.2025 25 min

Zusammenfassung & Show Notes

In dieser Episode von „Doc on Air“ geht es um ADHS – die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung. Wir klären die Ursachen, Diagnosekriterien und häufige Missverständnisse. ADHS wird als komplexe Entwicklungsstörung definiert, die eng mit der Gehirnentwicklung zusammenhängt.
Die Unterschiede zwischen ICD-10 und DSM-5 in der Diagnostik sowie die variierende Prävalenz werden diskutiert. Wir beleuchten die Kernsymptome und betonen die Notwendigkeit eines interdisziplinären Behandlungsansatzes. Zudem wird die gesellschaftliche Wahrnehmung von ADHS in unserer digitalen Welt thematisiert und auf den Verein Team ADHS verwiesen, der Unterstützung für Betroffene bietet.

---

DOC-ON-AIR - Der Podcast für den Umgang mit medizinischen Notfällen im Alltag von Dr. Joachim Huber.

Weitere Informationen auf doc-on-air.com

Das Gesicht zur Stimme unter www.drjoachimhuber.at

Bei Fragen oder Hinweisen zur aktuellen Folge schreibt mir gerne ein Email unter podcast@doc-on-air-com

#notfallmedizin #ersthilfe #teambuilding #alleswirdgut

---

Meinen Kurs "autogenes Training" findet Ihr auf www.ohne-stress.com - mit dem Gutscheincode PODCAST20 um 20% günstiger!

Transkript

Music. Doc on Air, der Podcast, der Ihnen hilft, richtig erste Hilfe zu leisten. Was tun, wenn jemand Hilfe schreibt? Was tun, wenn zu Hause was passiert? Als erfahrener Notarzt zeige ich Ihnen, wie es geht. Unser Ziel, Wissen statt Angst und Können statt Zweifel. ADHS, eine Modekrankheit. Was versteht man unter ADHS? Aufmerksamkeitsdefizit, Hyperaktivitätsstörung, aber den Begriff haben Sie sicher schon gehört, das Zappelphilips-Syndrom. Eine häufig auftretende, vermutlich psychische Störung. Die genaue Häufigkeit schwankt in Abhängigkeit, welche Kriterien für die Diagnose benutzt werden, wie die Diagnose erhoben wird und welche Bevölkerungsgruppe untersucht wird. Die Störung wurde früher als reines Verhaltensproblem angesehen, während sie heute zunehmend als komplexe Entwicklungsverzögerung des Selbstmanagementsystems im Gehirn verstanden wird. ADHS kann auch als ein Extremverhalten aufgefasst werden, das einen fließenden Übergang zur Normalität zeigt. Eines ist klar, eine ADHS-Diagnose erfordert, dass die Auffälligkeiten sehr stark ausgeprägt und in den meisten Lebenssituationen beständig seit der Kindheit vorhanden sind. Das bedeutet, einmal ein bisschen unkonzentriert sein oder, wie man so schön sagt, ins Narrenkastel schauen oder vielleicht ein bisschen unruhig sein. Zappelphilip ist sicherlich weder eine Krankheit oder sonst eine Gesundheitsstörung. Denn Symptome allein haben keinen Krankheitswert. Erst wenn diese Defizite zusätzlich zu einer starken Beeinträchtigung der Lebensführung oder gar zu erkennbarem Leiden führen, ist eine derartig schwerwiegende Diagnose gerechtfertigt. Die weltweite Häufigkeit der ADHS unter Kindern und Jugendlichen wird mit ca. 5,3 bis 6 Prozent beziffert. Ein brasilianisches Forscherteam unter der Leitung von Polanski und Rode konnte das sehr schön beweisen. In Österreich liegt die Häufigkeit ca. bei 7%, in Deutschland und der Schweiz bei ca. 5% aller Betroffenen. ADHS gilt heute als psychische, psychiatrische Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen. Sehr interessant ist, dass das Problem bei Buben wesentlich häufiger diagnostiziert wird als bei Mädchen. Die höchsten Raten wurden in Afrika und Südamerika, dort bis zu 12% der Population, festgestellt. Allerdings gibt es auch in Jamaika und Thailand sehr hohe Werte. In Nordamerika ist die Prävalenz für dieses Krankheitsbild höher als in allen anderen Regionen Amerikas. Die Bestätigung oder eine der Bestätigungen dafür liefert eine dimensionale ADHS-Skala, die in 21 Ländern verwendet wird. Übrigens japanische und finnische Kinder erzielen die niedrigsten Werte, wobei niemand weiß, wie das zustande kommt. Diese Studie von Bolanski und seinem Team kam zu dem Schluss, dass die geografischen Unterschiede in den berichteten Prävalenzen hauptsächlich durch methodische Schwächen, wie diese Diagnosen erklärt werden. Am wichtigsten ist es also offensichtlich, dass alle nach demselben Prinzip ihre Diagnosen erstellen. Aber leider Gottes ist bei den Europäern das sogenannte ICD und bei den anderen, besonders amerikanischen Forschern, das DSM-System wichtig und im Vordergrund. ICD bedeutet International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems auf gut Deutsch, internationale Klassifikation der Krankheiten. Der ICD-10 verlangt strikt, dass ein Kind Symptome in allen drei Dimensionen Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität zeigt und alle Kriterien zu Hause und in der Schule erfüllen muss. Der ICD-10 schließt außerdem Kinder mit komorbiden Störungen aus. DSM bedeutet Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders. Es handelt sich dabei eigentlich um eine Sammlung von Symptommustern und ist ein Klassifikationssystem für psychische Störungen. Das DSM-IV ist bei der Diagnose einer ADHS-Störung großzügiger. Es ist möglich, ein Kind zu diagnostizieren, das nur in einer Dimension, zum Beispiel der Aufmerksamkeit, Symptome zeigt. Einige beeinträchtigende Symptome, aber nicht alle, müssen zu Hause und in der Schule auftreten. Die MS-4, diese Werte stammen aus dem Jahr 1988, ermöglicht die Diagnose von ADHS neben anderen Störungen. Die neueste Version DSM-5-TR stammt aus dem Jahr 2022 und umfasst 1050 Seiten. Die Häufigkeit von ADHS im Erwachsenenalter wurde von vielen internationalen Forscherteams untersucht. Sie haben einheitlich festgestellt, dass nur ca. 5 bis 15% der betroffenen Kinder die Kriterien für eine ADHS-Diagnose im Erwachsenenalter noch vollständig erfüllen. Trotzdem treten vereinzelte Symptome und funktionelle Beeinträchtigungen bei etwa 70% der Betroffenen auch im Erwachsenenalter unverändert weiterhin auf. Laut dem Diagnosesystem für psychische Störungen sind etwa 2,5% der Erwachsenen allgemeinen Bevölkerung betroffen. Eine weitere repräsentative Studie zeigt, dass etwa 5% der erwachsenen Deutschen von ADS betroffen sind. Die meisten internationalen Verlaufsstudien zeigen, dass sehr breit gefächert bei 40-80% der diagnostizierten Kinder die Störung auch während des Erwachsenseins fortbesteht. Für die Entstehung von ADHS sind vermutlich mehrere miteinander integrierte Faktoren verantwortlich. Man nimmt an, dass es vor allem genetische Veranlagungen, Umwelteinflüsse im Umfeld der Geburt, also Prä-, Peri- und Früh-Postnatal, aber naturgemäß auch Prägungen während des Heranwachsens eine entscheidende Rolle spielen. Sie beeinflussen so auch die Hirnentwicklung und das Verhalten der Betroffenen. Nur zur Wiederholung, Menschen mit ADHS sind sehr empfindlich auf Reize und daher leicht ablenkbar. Diese Menschen haben oft erhebliche Probleme beim Ausblenden von Hintergrundgeräuschen. Der Begriff neurologisch-typisch beschreibt übrigens ganz einfach eine Person, deren Gehirn der medizinischen und psychologischen Norm entsprechend gut funktioniert. Weil das bei der Aufmerksam-Defizits-Hyperaktivitätsstörung aber nicht so ist, werden sie als neurodivers bezeichnet. Nun, sicher eine gewisse Wortspielerei, aber um eine gezielte Therapie zu ermöglichen, natürlich auch die Kostenübernahme durch die Sozialversicherungsträger zu erreichen, brauchen wir eben exakte Anhaltspunkte und möglichst exakte Definitionen. Womit wir schon mitten im Thema sind. Denn ADHS ist keine eigentliche Krankheit. Vielmehr handelt es sich um eine neurologische Besonderheit, die ähnlich wie die Autismus-Spektrumstörung oder die Leserechtschreibstörung, den Oberbegriff Neurodiversität zugeordnet wird. Im ICD-10 wird ADRS als Verhaltens- und emotionale Störung mit Beginn in der Kindheit und Jugend bezeichnet. Deshalb sprechen wir in diesem Beitrag von Störungen und nicht von Krankheit. Aber Vorsicht! Es handelt sich sicher auch um eine sogenannte Modediagnose, die schnell einmal diagnostiziert wird, ohne dass tatsächliche, nachgewiesene, wie oben beschrieben, einordnbare Störungsmuster, die sich oft auch gegenseitig potenzieren, vorliegen. Das hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass die gegenwärtige Psychologie, Psychiatrie fast ausschließlich Störungen diagnostiziert und fokussiert. Damit besteht die Gefahr, dass insbesondere Modediagnosen mitunter sehr voreilig gestellt werden. Also lassen Sie uns alle langsam und ruhig an die Sache herangehen und nicht, wie das halt leider Gottes oft der Fall ist, sehr rasch zu einer dann auch falschen Diagnose kommen. Die Symptome und deren Intensität können je nach Alter unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Die Fachliteratur zählt folgende Kernsymptome, übrigens altersunabhängig, vor. 1. Aufmerksamkeitsstörungen, Schwierigkeiten sich zu konzentrieren, leichte Ablenkbarkeit durch die Umgebung oder eigene Gedanken, Probleme länger in einer Sache zu bleiben. 2. Hyperaktivität, erhöhter Bewegungsdrang, innere Unruhe, Unfähigkeit länger stillzusitzen. 3. Impulsivität. Überstürztes Handeln, ohne sich über die Konsequenzen weitere Gedanken zu machen. Auch Wutausbrüche oder unverständliche Risikofreudigkeit. Auch die folgenden Nebensymptome können darüber Ausschluss geben, ob jemand von ADHS betroffen ist oder nicht. Schneller Stimmungswechsel, leichte Reizbarkeit, verminderte Stresstoleranz, Desorganisation, aber auch auffallende Vergesslichkeit. Natürlich wird man in diesem Rahmen altersunabhängig auch in Richtung Demenz untersuchen und verschiedene Testreihen anbringen. Auch das erfordert Zeit. Interessant ist, dass ADHS in Europa als Behinderung anerkannt werden kann, wenn die Einschränkungen den Alltag, schulische oder berufliche Leistung stark beeinträchtigt. Nun die große Frage, wer hilft, wohin kann ich mich wenden? Der wichtigste erste Schritt ist immer ein vertrauensvolles Gespräch mit dem Hausarzt. Bitte sagen Sie schon bei der Terminvereinbarung, dass Sie ausreichend Zeit brauchen. Nehmen Sie unbedingt alle vorhandenen Befunde und natürlich auch allfällige Medikamente, auch sogenannte Naturheilprodukte mit zu diesem Erstgespräch. Wurde die Diagnose ADHS bereits im Kindesalter gestellt, wird der behandelte Hausarzt gegebenenfalls die Patienten nach einiger Zeit im jungen Erwachsenenalter begleiten und dann je nach Auffälligkeiten und Verhaltensmuster sicher auch einen Facharzt für Psychiatrie oder psychotherapeutische Medizin hinzuziehen. Diese Fachleute übernehmen dann im Team die weitere medizinische Betreuung. Natürlich kann auch eine bestehende Psychotherapie weitergeführt werden. Wird die Verdachtsdiagnose mit 18 Jahren oder später geäußert, ist die erste Anlaufstelle ein Facharzt für Psychiatrie oder natürlich eine Fachärztin. Diese leiten dann weitere diagnostische und natürlich auch therapeutische Schritte ein. Entscheidend für einen Therapieerfolg ist aber immer zuerst der Ausschluss von anderen organischen Erkrankungen. Danach braucht es interdisziplinäre Experten, ein Team aus Fachärzten und Therapeuten, welches gemeinsam mit den Patienten eine ganzheitliche und individuelle Therapie erstellt. Dabei sind unter anderem Physiotherapeuten, Psychotherapeuten im Einzel- und Gruppensetting. Es wird ein Achtsamkeitstraining, eine adjuvante Therapie wie Yoga, Seh- und Hörtraining dazugefügt. Natürlich wird das persönliche Umfeld unbedingt mit einbezogen. Medikation kann, muss aber nicht ein Teil der Therapie sein. Folgende Strategien können im Alltag Menschen mit ADHS unterstützen. Das heißt, was können Sie selbst als betroffene Angehörige dazu beitragen? Sorgen Sie für eine gute Tagesstruktur, eine gleichbleibende. Den Tag exakt planen, Listen erstellen und natürlich Raum für Pausen lassen. Erinnerungshilfen einsetzen, zum Beispiel die berühmte Einkaufsliste am Kühlschrank, oder der Einkaufszettel am Tisch oder die sogenannte To-Do-Liste. Natürlich kann auch das Smartphone als Erinnerungsmemo sozusagen der Weise zum Einsatz kommen. Bitte lassen Sie die Betroffenen ihre Schritte klein machen und nach und nach erledigen. Keinen unnötigen Stress machen, niemanden unter Druck bringen, keine Plattitüden wie reiß dich zusammen oder so kann man das nicht machen. Ich weiß, es erfordert unglaublich viel Geduld, viel Einfühlungsvermögen. Und wenn man als Angehöriger selber schon mit den Nerven ein bisschen am Ende ist, wird das nicht leichter. Stellen Sie und legen Sie Routineabläufe fest. Zum Beispiel Gegenstände sollen immer am gleichen Ort liegen. Klassiker die Lesebrille. Wenn ich sie einmal links, einmal rechts liegen habe, werde ich es nicht finden, auch wenn ich kein ADHS habe. Also Gegenstände immer an den gleichen Ort legen. Feste Abläufe bei den verschiedenen Tageszeremonien früh, mittag oder abends oder nachmittagsherause. Sie sehen schon, für jeden Betroffenen muss es unterschiedliche Strategien geben und muss überprüft werden, ob sie hilfreich sind. Aber seien Sie getröstet. Mit der Zeit finden Patienten und ihre Angehörigen immer heraus, was wirklich gut tut. Daneben helfen professionelle Menschen der Familie auch, sich besser zurechtzufinden. Und der Freundeskreis kann dabei sehr unterstützend sein. Bei Fragen, wenden Sie sich bitte an den Verein Team ADHS, den es seit 2022 gibt. Der Vereinssitz ist die Rochusgasse 3, Tür 34. Rochusgasse 3, Tür 34 im dritten Bezirk. Das E-Mail ist kontakt@team-adhs.at. Ich wiederhole kontakt-team-adhas.at. Der Tätigkeitsbereich dieses Vereins erstreckt sich durch zahlreiche Online-Angebote neben Österreich auch auf den gesamten deutschsprachigen Raum. Zum Schluss zitiere ich noch gerne eine wunderbare und kluge Frau, nämlich Magistra Katharina Reich. Sie sagt in einem Paper, das sie selbst veröffentlicht hat, Meines Erachtens liegt das Kernproblem nicht in der Krankheit selbst, sondern in den fehlenden Fähigkeiten zur Konzentration. Eine Folge von gesellschaftlichen Schieflagen, insbesondere in der Erziehung. Unsere Gesellschaft vernachlässigt die gezielte Förderung von Aufmerksamkeit sowie die strikte Entwicklung von Kreativität und Mut, unabhängig von der ständigen Präsenz elektronischer Medien. Kreativität kann nur auf der Grundlage klarer Sinne entstehen. Genau hier setzt Frau Mag. Reich mit ihrer Wahrnehmungsschulung an. Zusammenfassend beschränken sich die Probleme mit ADHS nicht nur auf Kinder und Jugendliche, sondern eben auch auf Erwachsene. Auch hier zeigt sich zunehmend ein Defizit an echter Achtsamkeit und schöpferischer Kraft. Es mehren sich die Stimmen, dass ADHS keine Krankheit ist, sondern ein Symptom unserer Gesellschaft. In einer Welt geprägt von Dauerbeschleunigung und digitaler Ablenkung geraten essentielle Fähigkeiten wie Fokussierung, Klarheit zunehmend ins Hintertreffen. Auch die Studien von Experten wie Dr. Bonnay und Prof. Gerald Hüther zeigen, viele Herausforderungen, die wir bei Konzentration und Entscheidungsfindungen beobachten, sind Ausdruck gesellschaftlicher Strukturen, die kaum noch Raum für Ruhe und Reflexion lassen. Die Fähigkeit, sich bewusst zu fokussieren, ist keine Selbstverständlichkeit, aber sie lässt sich trainieren. In diesem Zusammenhang darf ich auf meinen Podcast www.märchendoktor.at hinweisen. Hören Sie mir zu und lassen Sie sich richtig fallen und kommen Sie mit viel Kraft wieder in Ihr Tagesgeschehen zurück. Alles Gute, Ihr Dr. Huber. Music.